Die Sammlung der Neuen Galerie Graz hat sich als geballte Rohstoffquelle für den „steirischen herbst“ und das diesjährige Motto „A war in the distance“ erwiesen. Weit entfernt von den üblichen historischen Bombenbildern, die den Krieg als Erfolgsgeschichte darstellen, umfasst die umfassende Sammlung Kunstwerke, die den Krieg an die Grenzen der alltäglichen Wahrnehmung treiben. Krieg? welcher Krieg? Aber um eines klarzustellen: „Das ist keine Ausstellung über Kriege“, fügt „herbst“-Regisseurin Ekaterina Degot gleich beim ersten Rundgang hinzu. Vielmehr ist es wichtig, die Werke des 19. und 20. Jahrhunderts mit teils Auftragsarbeiten in einen Dialog treten zu lassen.
Im Gegensatz zur aktuellen Weltlage, die nicht nur durch den Krieg in der Ukraine eine ständige Flut von Bildern bewaffneter Konflikte in unseren Alltag speist und unser Blick automatisch darauf gelenkt wird, ist die Ausstellung „eine Spurensuche von Konflikten, Umbrüchen und Widersprüchen, die Österreich seit Jahrhunderten prägen”, umreißt Peter Peer, Direktor der Neuen Galerie, die Intention der dort stattfindenden Ausstellung.
Und wie immer bei der Spurensuche fängt man am besten direkt vor der eigenen Haustür an: Eine alternative Geschichte des „steirischen herbst“ konzentriert sich unter anderem auf Fritz Silberbauers Bild „Der Steirische Herbst“ von 1939 und fragt besorgt: „Was wäre, wenn die hatte das Festival damals, 1939, begonnen?“ Silberbauer, Mitglied der NSDAP, deutet mit seinem gemalten, überidealisierten Gobelin-Design an: ein Manifest der häuslichen Idylle. Cover statt Offenbarung.
Auch Karl Jiraks Ölgemälde „Landschaft mit Flüchtlingen“ von etwa 1945 sieht wirklich idyllisch aus – ein Feuer, einige Wagen und einige friedlich grasende Pferde. Ein absurd naiver Blick, der Krieg, Leid und Folgen komplett aus dem Bild löscht. Im Gegensatz dazu steht das Video „Volga“ (2015) von Aslan Goisum, in dem mehr als 20 Menschen versuchen, in einem Auto zu fliehen.
Ein Hoch auf die Idylle: Karl Jirak, Landschaft mit Flüchtlingen (1945–50) © Neue Galerie Graz
Aslan Goisum, Volga (2015), HD-Video, 4′11″, Standbild © Aslan Goisum
Ekaterina Muromtsevas 2019 entstandene Videoarbeit A Tough Male Portrait hat in ihrer Aktualität und Absurdität Recht: Sie begleitet einen Tennistrainer in Moskau, der Wladimir Putin in Lebensgröße porträtiert, um ihm persönlich Post zu geben. Und so marschiert der gute Mann in den Kreml, beseelt davon, dass er mit seinem Magnum Opus den Mächtigen Tribut zollt. Auf der Rückseite ist das Wort „Fragile“ in Rot eingraviert. Ein Wahnsinn.
Ekaterina Muromtseva, A Tough Male Portrait (2019), HD-Video, Stereoton, 14′43″, Standbild © Ekaterina Muromtseva
Es ist ein Aufeinanderprallen der Zeiten und ein Aufeinanderprallen der Perspektiven, die in dieser Ausstellung bewusst aufeinanderprallen und so die Gräben offenlegen, die hier intensiv am Werk sind. Das bricht mit den Narrativen, die Kriege, Gewalt und Konflikte immer begleitet haben. Hier wird mehr als deutlich, dass Kunst schon immer Teil dieser Erzählmaschine war und ist. Aber immer ist es auch die Kunst, die diese Mechanismen wie eine Wunde freilegt und dann fröhlich den Finger darauf legt.