Ab: 19.09.2022 19:38 Uhr                 

Ein 22-jähriger Mann im Iran starb in Polizeigewahrsam – festgenommen wegen unangemessener Kleidung. Und auch in anderen Lebensbereichen lässt das Regime seinen Bürgern kaum Luft zum Atmen. Es braucht viel Kraft, sich zu verteidigen. Von Karin Senz, ARD Studio Istanbul

Es sind die Worte einer jungen Frau aus Teheran, die vielen im Iran, ob konservativ oder nicht, zu Herzen gehen sollten: “Die kümmern sich da oben einfach nicht um uns.”

Das wäre genug, um sich Sorgen zu machen. Die Armut im Land verschärft sich, weil die Preise selbst von Grundnahrungsmitteln wie Reis so stark steigen, dass sie sich selbst Menschen aus der ehemaligen Mittelschicht kaum noch leisten können.

Hinzu kommt die Isolation des Landes. Aufgrund von US-Sanktionen ist der Handel mit anderen Ländern nur über diverse kostspielige Umwege möglich, Iraner haben große Visa-Probleme für andere Länder, außerdem gibt es Vetternwirtschaft – und dergleichen.

Ein Leben ohne Existenzkampf

Doch statt den Atomdeal wiederzubeleben, der zumindest Abhilfe schaffen könnte – und damit ein Wahlkampfversprechen einlöst –, verzögern Präsident Ebrahim Raisi und die Drahtzieher in Teheran immer wieder Verhandlungen mit den verbliebenen Partnern und indirekt auch mit den USA. .

Manche Iraner sagen: Es geht ihnen nicht primär um Führung. Sie wollen ein besseres Leben ohne Existenzkampf, schließlich verfügt der Iran über Bodenschätze, nämlich Erdgas und Öl. Und sie wollen mehr Freiheit.

Einige Monate lang schien es, als würde die Führung zumindest einen kleinen Ausweg lassen, um dem finanziellen Druck standzuhalten. Entgegen den Erwartungen nach der Wahl der ultrakonservativen Raisi griff die Sittenpolizei nicht ein, als die Frauen ihre Kopftücher nach und nach weiter nach hinten rutschen ließen, sie trugen Blusen, die ihr Gesäß kaum bedeckten, und bauchfreie Oberteile mit weiten Ausschnitten.

Doch im Frühsommer machte Teheran krass und brutal klar, dass damit Schluss ist. Reine Unterdrückung wird eingesetzt, um Menschen am Atmen zu hindern.

                Vor allem junge Iranerinnen halten sich nicht mehr strikt an die Kleiderordnung des Regimes – und fürchten strenge Strafen dafür.  Bild: EPA

Ein Halsschlag nach dem anderen

Sie werden buchstäblich in vermeintliche koranische Regeln über anständige Kleidung mit Kopftuch getrommelt. Folglich ist der Iran – wie ein Iraner einmal sagte – ein muslimisches Land ohne Muslime. Das trifft vielleicht nicht auf ländliche Gebiete oder ganz Teheran zu, aber es beschreibt die Distanz zwischen der religiösen Führung und der Bevölkerung.

Religion ist vielen, besonders jungen Menschen, zuwider. Dafür bestraft sie ihre Regierung Tag für Tag und versetzt ihnen einen Schlag nach dem anderen. Angst, Verzweiflung und Depression machen sich im Land bemerkbar.

Viele haben kaum die Kraft, das alles zu ertragen, geschweige denn, auf die Straße zu gehen. Du würdest dein Leben riskieren.

Wahrscheinlich musste Mahsa Amini sterben, weil sie noch genug Kraft hatte, um der Gehirnwäsche einer Gruppe von Vizepräsidenten nicht nachzugeben. Es ist Zeit für den Obersten Führer Khamenei, Raisi und den Rest von ihnen, sich wirklich um ihr Volk zu kümmern – nur sie sind meilenweit davon entfernt.

Iranische Frauen unter Druck: Die Führung kennt keine Gnade

Karin Senz, ARD Istanbul, 19.09.2022 18:00 Uhr Redaktionelle Anmerkung Kommentare geben immer die Meinung des jeweiligen Autors und nicht der Redaktion wieder.