Autor: Eine Analyse von Larissa Rhyn
Die Schweiz soll eigenständig Sanktionen verhängen dürfen, unabhängig davon, was die EU oder die UNO tun. Das hat der Nationalrat im Sommer beschlossen. Nun steuert der Ständerat gegen – und muss sich durchsetzen. Damit bleibt die traditionelle, passive Rolle der Schweiz in der Sanktionspolitik weitgehend erhalten. Gegen den Willen ihres Parteivorsitzenden kümmern sich die Mittelstaatsräte darum. Nach Kriegsausbruch in der Ukraine debattierten Politiker in der Schweiz emotional darüber, ob der Bundesrat alle Wirtschaftssanktionen gegen Russland übernehmen solle. Inzwischen scheint es fast normal, dass die Schweiz neue Sanktionspakete der EU akzeptiert.
Das Mitte-Links-Bündnis zerbricht im Ständerat
Die Mitte-Links-Nationalräte hielten deshalb die Zeit für reif für ein eigenständiges Schweizer Sanktionsregime in der Region. Im Juni schrieben sie eine neue Sanktionsbestimmung ins Embargogesetz: Der Bundesrat soll künftig bei schweren Völkerrechts- oder Menschenrechtsverletzungen eigenständig Sanktionen verhängen können. Der Ständerat hat diese Bestimmung nun gestrichen. Dies steht im Einklang mit der Ablehnung eigenständiger Schweizer Sanktionen durch den Ständerat im letzten Sommer. Doch die Nationalräte von der SP bis zur Mitte hofften, dass der Krieg in der Ukraine die Lage der Mehrheit verändert habe. Das wäre verständlich, zumal Zentrumspräsident Gerhard Pfister im Frühjahr klar von eigenständigen Schweizer Sanktionen gesprochen hat und keine Partei im Ständerat so mächtig ist wie das Zentrum. Doch was Pfister und seine Fraktion im Nationalrat vehement befürworteten, stellt Zentralrat Pirmin Bischof nun als gefährliche Verschiebung dar: Er argumentiert, dass die Schweiz Druckbemühungen von Grossmächten ausgesetzt wäre, wenn sie von sich aus Sanktionen verhängen würde. Außerdem ist ihre Neutralität bedroht. Auch andere bürgerliche Stadträte haben ihre eigenen grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Parteibindung.
Ein Kompromiss scheint in weiter Ferne
Auch in anderen Fragen gab es in diesem Gesetzgebungsorgan Differenzen in den Positionen der Mittelsmänner im National- und im Ständerat: Etwa wenn es um Betriebsmieten während der Corona-Krise oder um die Förderung der Asylpolitik zum Abschluss der Berufsausbildung ging in der Schweiz. Diesmal waren sich die Ratsmitglieder jedoch uneinig in einem Punkt, in dem ihr Parteivorsitzender für eine Gesetzesänderung geworben hatte. Das ist auch deshalb ungewöhnlich, weil Pfister als Vertreter des Mittelstandes gilt – und die meisten bürgerlichen Stadträte auch dem rechten Flügel der Partei angehören. Ein Kompromissvorschlag erscheint nahezu unmöglich. Denn das sind keine semantischen Unterschiede. Wenn die Schweiz eigene Sanktionen verhängen darf, kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich. Alles deutet darauf hin, dass der Nationalrat einlenken muss – zumindest wenn er verhindern soll, dass die gesamte Vorlage in sich zusammenfällt. Scheitert sie, wäre auch die zweite Gesetzesänderung verloren, die es den Feds ermöglicht hätte, bestehende Sanktionen auf andere Staaten auszudehnen. Und das wird der Nationalrat kaum riskieren. Mit der heutigen Entscheidung bleibt die Mitte in der Mehrheit – doch ihre Landesräte katapultieren den eigenen Parteivorsitzenden in die Minderheit.
Larissa Ryn
Redakteur des Bundestages
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Larissa Rhyn ist Redakteurin des Bundeshauses beim Schweizer Fernsehen. Zuvor war er in gleicher Funktion während zwei Jahren bei der Neuen Zürcher Zeitung tätig. Er studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Internationale Beziehungen in Zürich und Genf.